Antrag: Erinnerung an den behördlichen Rassismus und die Vertreibung einer Sinti und Roma Familie 1983 aus Darmstadt

Dieser Antrag wurde von Uffbasse im Winter 2023 ausgearbeitet, aber bisher noch nicht in einer Stadtverordnetenversammlung eingereicht.

Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen, der Magistrat wird gebeten,

  • Im Namen der Stadtgesellschaft Kontakt zur Familie J. aufzunehmen und eine offizielle Entschuldigung für die erlebte Diskriminierung und Vertreibung der Familie aus Darmstadt auszusprechen.
  • Das sowohl gegenüber der Familie als auch gegenüber der Gemeinschaft der Sinti und Roma damals verübte Unrecht ist offiziell anzuerkennen.
  • Der Magistrat möge den in der Öffentlichkeit stehenden Sohn der Familie, Hr. Gianni Jovanovic bitten, in der Stadtverordnetenversammlung oder einer anderen geeigneten Veranstaltung in Darmstadt zu der Vertreibung seiner Familie aus Darmstadt zu reden.
  • Der Magistrat möge zudem jährlich auf einer geeigneten Veranstaltung an diese traurigen rassistischen stadtpolitischen Ereignisse erinnern und dafür Sorge tragen, dass die Erinnerung an diesen behördlichen Rassismus, den Menschen in unserer Stadt erlitten haben, nicht verloren geht.

Begründung:

Seit 1980 lebten einige wenige Roma-Familien aus Jugoslawien in Darmstadt. Im Januar 1982 erfolgte ein Sprengstoffanschlag auf eines ihrer Wohnhäuser. Die rassistische Stimmung in der Bevölkerung nahm danach sogar noch zu. Im August 1983 ließ der Darmstädter Oberbürgermeister Günther Metzger in einer Blitzaktion das Haus abreißen, in dem vier der Roma-Familien gelebt hatten, und begründete den Abriss nachträglich mit angeblicher „Seuchengefahr“. Nach der Rückkehr aus dem Urlaub mussten die Betroffenen die Reste ihres Mobiliars, ihrer Kupferwerkstatt und sogar die Bilder ihrer durch die faschistische Ustascha-Miliz ermordeten Angehörigen in den Trümmern suchen. Der Zentralrat verurteilte den Abriss als „schlimmstes Beispiel für Rassismus seit 1945“. Die Tageszeitung „Darmstädter Echo“ sprach von einem „Akt der Menschenverachtung“.

Eine vom Darmstädter Oberbürgermeister Metzger angestrengte Unterlassungsklage gegen diesen Rassismusvorwurf wurde 1985 vom Oberlandesgericht Frankfurt zurückgewiesen. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma rief Vertreterinnen und Vertreter nationaler und internationaler Organisationen nach Darmstadt, um den Abriss des Wohnhauses zu dokumentieren und für den Schutz der Menschenrechte von Roma einzutreten. Im September 1983 versuchten fünfzehn Minderheitenangehörige, Oberbürgermeister Metzger zu einem Gespräch zu bewegen und auf die unzureichenden Lebensbedingungen der Roma nach dem Hausabriss hinzuweisen.

Im Jahr 1984 wurden die betroffenen Familien jedoch aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Nach Protesten von zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern und auf Grund des Engagements von Willy Brandt fanden zwei der Familien eine neue Unterkunft in Nürnberg, andere Familien wurden in Köln aufgenommen, wiederum andere versuchten in Italien oder Frankreich eine neue Heimat zu finden.

Die Familie J. wurde zu Unrecht vertrieben und hat aufgrund von Diskriminierung und Vorurteilen unnötiges Leid erfahren. Es ist an der Zeit, dass wir als Stadt die Verantwortung für diese behördlichen rassistischen Ereignisse übernehmen.

Dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte ist zu reflektieren und dafür zu sorgen, dass rassistische Taten gegenüber Familien und Gemeinschaften anerkannt werden und es ein aktives Bemühen gibt, solche Fehltritte zu korrigieren.

Eine solche Entschuldigung ist nicht nur eine symbolische Geste, sondern ein wichtiger Schritt zur Versöhnung und zum Aufbau einer inklusiveren und gerechteren Gesellschaft.

Es ist an der Zeit, dass Darmstadt aktiv wird in der Anerkennung von rassistischem (nicht nur) historischem Unrecht und die notwendigen Schritte unternimmt, um Wiedergutmachung und Versöhnung zu fördern.

 Wir bitten um wohlwollende Prüfung unseres Antrags. Vielen Dank.

Kerstin Lau, Marc Arnold, Sebastian Schmitt, Carmen Stockert, Till Mootz

 

Foto: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma